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Wie das Gehirn Farbe wahrnimmt
Unser Wissen über die Welt beeinflusst die Farbwahrnehmung stark.
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Was wir sehen, ist nicht was wir innerlich repräsentieren
Auszug aus einem Interview erschienen in NZZ am Sonntag 25.8.2017, von Till Hein
[...] Witzel: Stark vereinfacht wird oft gesagt: Sichtbares Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen unterschiedlicher Länge, und jeder Wellenlänge entspricht eine Farbe. Aber was wir tatsächlich als Farben sehen, hängt eben auch stark davon ab, was unser visuelles System aus diesen Wellen macht. Psychologen, Physiker, Philosophen und Gehirnforscher streiten sich darüber, wo die Grenze da genau verläuft.
Witzel: Unser Gehirn ist sehr geschickt darin, die von den Sinnen gelieferten Rohdaten zu ergänzen. Deswegen sehen wir zum Beispiel den Baum vor unserem Fenster immer im gleichen Grünton, egal ob bei Morgendämmerung, Mittagssonne oder bedecktem Himmel, obwohl sich die Zusammensetzung des Sonnenlichts im Tagesverlauf stark verändert und das von den Blättern reflektierte Lichtspektrum jeweils ein völlig anderes ist. Wir nennen dieses Phänomen Farbkonstanz. Manchmal wird daher behauptet, dass Farbe gar keine physikalische Eigenschaft sei, die dem Licht und den Dingen innewohnt, sondern eine psychologische Kategorie, die ohne den menschlichen Beobachter gar nicht denkbar sei. In Wirklichkeit aber gibt es Farben auch auf physikalischer Ebene.
Die roten Trikots von Bayern München
NZZ: Haben Erkenntnisse über das Wesen der Farben auch einen praktischen Nutzen?
Witzel: Ja. Das beste Beispiel ist der Bildschirm. Wenn Sie im TV zum Beispiel Champions League schauen und die roten Trikots von Bayern München sehen, hat das Licht, das aus dem Monitor auf Ihre Netzhaut trifft, überhaupt nicht die gleiche Wellenlängenzusammensetzung wie dasjenige, das von einem realen Bayern-Trikot reflektiert wird. Trotzdem sehen Sie beide Male knalliges Rot. Wir können immer genauer mathematisch herleiten, wie man Fotorezeptoren erregen muss, um welchen Effekt zu erreichen.
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Werden Roboter bald wie Menschen sehen?
Witzel: Da sind noch viele Hürden zu meistern. Besonders wenn es um das Phänomen der Farbkonstanz geht. Nehmen wir diese Tasse hier: Wenn wir jetzt in den Garten gehen, wo das Licht bläulicher ist, verändert sich das Lichtsignal an Ihr Auge, und dennoch sehen Sie die Tasse noch immer als orange. Da stoßen Robotik-Forscher bisher klar an ihre Grenzen.
NZZ: Ein Pflegeroboter etwa müsste nicht unbedingt in den Garten hinaus. Es würde reichen, wenn er im Krankenhaus zum Beispiel wahrnimmt, dass sich das Gesicht eines Patienten durch Atemnot blau verfärbt.
Witzel: Algorithmen, die auf einige Farbsignale reagieren, sind nicht schwer zu entwickeln. Problematisch wird es aber bereits, wenn sich Schatten bilden. Und Licht ist auch in Innenräumen nie homogen aufgeteilt. Bis Roboter Farben ähnlich gut sehen können wie wir, wird es noch sehr lange dauern.
Graue Schlümpfe sind blau
NZZ: Sie und Ihre Kollegen vermuten zum Beispiel, dass Menschen auch graue Bananen als gelb wahrnehmen.
Witzel: Wir vermuten das nicht, wir haben es bewiesen. Ich habe das Phänomen inzwischen noch bei weiteren Objekten untersucht: Graue Schlümpfe zum Beispiel werden als blau wahrgenommen und graue Briefkästen als gelb.
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NZZ: Tatsächlich? Könnte es nicht sein, dass die Versuchspersonen Ihnen nur eine Freude machen wollten und daher entsprechende Antworten gaben?
Witzel: Das kann ich aufgrund der Versuchsanordnung ausschließen. Wir zeigten den Probanden auf dem Bildschirm Fotos von Bananen und anderen Objekten in unterschiedlichen Farben. Dann sollten sie die Pixel so weit verändern, bis die Objekte grau waren. Bei farbneutralen Objekten wie Socken oder Frisbees gelang ihnen das prima. Bei Bananen aber fügten sie zu viel Blau hinzu, um den vermeintlichen Gelbüberschuss wegzubekommen. Sie gingen also über das physikalische Grau hinaus, weil sie die Bananen, als dieser Punkt erreicht war, noch immer als gelblich wahrnahmen.
NZZ: Das hab ich jetzt nicht ganz verstanden.
Witzel: Macht nichts. Schauen Sie selbst: Welche Farbe hat die Banane hier auf dem Bildschirm?
NZZ: Die hat einen Gelbstich.
Witzel: Nein. Sie ist grau. Die Banane ist hellgrau, der Hintergrund dunkelgrau.
NZZ: Tatsächlich? Und woher kommt dann das Gelb, das ich sehe?
Witzel: Unser Wissen über die Welt beeinflusst die Farbwahrnehmung stark. Wir sehen, wenn es um Farben geht, auch das, was wir zu sehen erwarten.
Dr. Christoph Witzel, 38,
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität Gießen. Er studierte an der Universität Heidelberg Allgemeine Psychologie und Politologie. 2012 promovierte er in Gießen als Experimentalpsychologe über „Farbwahrnehmung im Licht von Sprache und Erfahrung“. Von 2012 bis 2016 forschte er an der University of Sussex in Südengland und an der Université Descartes in Paris. Er zählt zu den besten Kennern der internationalen Forschung zur Farbwahrnehmung, bei der sich Physik, Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften ergänzen – und manchmal widersprechen.
Stichworte
Wahrnehmung | Sinnessysteme | Psychologie | Konstruktivismus | GesundheitswesenUeli R. Frischknecht
Lehrgangsleitung NLPA, Supervision, Coaching und Workshops, mit oder ohne Mountainbike, Wandern bzw. LineDance.
geb. 1955; eidg. dipl. Erwachsenenbildner; NLP-Lehrtrainer NLPA, DVNLP, IANLP; MAS Supervision/Coaching PHSG. 1980 Gründung der eigenen Unternehmensberatungsfirma, Mitinitiator u. Geschäftsleitungsmitglied von Firmen und Institutionen im Bereich der Erwachsenenbildung.
1989 Gründung der NLP Akademie Schweiz.
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Kommentare:
Vielen Dank ! Da gibt es für mich eine Menge Interessantes zum lesen ! Nach der Wanderung . Schönen Sonntag wünsch ich Euch ! Gisela
Liebe Gisela: Danke für die freundliche Rückmeldung. Ja, gelt, ich dachte auch, das sei interessant, da wir im NLP ja seit bald 40 Jahren mit konstruktivistischem Weltverständnis arbeiten. Schön, wenn die Wissenschaft zu diesen Grundannahmen des Coachings stützende Hinweise liefern kann.