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Systemische Werte-Entwicklung verstehen
Das Graves Modell zur Analyse systemischer ZusammenhÀnge
Photo by Clint Adair on Unsplash
âDas darf doch wohl nicht wahr seinâ
âDas ist aber schlicht unmöglichâ - âDas soll mir mal jemand erklĂ€renâ sind Aussagen, welche wir im Alltag immer wieder mal von uns geben oder/und von anderen hören. Wir sehen viele Entwicklungen welche wir uns nicht oder kaum erklĂ€ren, Vorgehensweisen woraus wir uns keinen Hehl machen können. Das Graves Modell (1) bietet eine âRoadmapâ um sich in der Wertelandschaft von Systemen besser zu orientieren. In der Arbeit mit Systemen (das innere Team, Gruppen, Unternehmen, Familien, Organisationen und ihrer Stakeholder) kann dieses Modell viele wichtige, manchmal bahnbrechende Erkenntnisse verschaffen.
Das Wertemodell nach Clare W. Graves, einem amerikanischen Psychologieprofessor (1914 - 1986) ist ein zentraler Bestandteil der Weiterbildung SystemCoach NLPA. Clare W. Graves war ein Kollege von Abraham Maslow und sein Modell versteht sich ausdrĂŒcklich auch als eine Weiterentwicklung der maslowschen BedĂŒrfnispyramide. Wie in der BedĂŒrfnispyramide wĂ€chst auch im Graves Modell die KomplexitĂ€t mit jedem Entwicklungsschritt.
Ein wertvolles und gleichzeitig heikles Modell
Es ist ein wertvolles und gleichzeitig ein heikles Modell. Wertvoll weil es Klarheit, Einsicht und VerstĂ€ndnis schaffen kann ĂŒber die Entwicklung von Werten, Kulturen, Menschen und Systemen. Heikel weil es oft fĂ€lschlicherweise als hierarchisches Stufenmodell verstanden, erklĂ€rt und dargestellt wird (Vergleich Maslow Pyramide). Dadurch kommt es schnell einmal zu Haltungen von Ăberlegenheit und Arroganz ("Ich bin eine Ebene höher als du!"). Das Gravesmodell sollte jedoch eher als ein sequentielles Phasenmodell verstanden werden.
In der Weiterbildung SystemCoach NLPA nutzen wir das Modell vor allem zur Diagnose und zum besseren VerstĂ€ndnis von Systemen. Es hilft bspw. neue Wege der Rapport-Bildung auf der Werte-Ebene zu erkennen: Im Sinne des Pacing ermöglicht uns das Graves Modell Menschen dort abzuholen wo sie momentan sind, bei Ihren Werten und der inneren Logik der sie folgen. Und beim Leading, hilft das Modell zu erkennen, was die bisherigen Schritte waren und wohin die nĂ€chsten Schritte gefĂŒhrt werden könnten. Dort wohin die Werte-Entwicklung gefördert werden möchte.
Arpito Storms im Seminar SystemCoach NLPA
Das Graves Modell: Phasen der Entwicklung
Wenn Menschen ihren Fokus auf das reine Ăberleben richten (mĂŒssen), wird dies der ersten Phase des Modells zugeordnet. Diese Phase wird dann aktiviert wenn wir z.B. am Verhungern sind, wenn wir von schweren Katastrophen betroffen werden, in Krisen- und Kriegszeiten also, jedoch auch bei schweren Suchterkrankungen. Immer dann, wenn es um das nackte Ăberleben geht, dann muss Nahrung, oder das was wir als Nahrung empfinden, her. Im positiven Sinne aktivieren wir diese Stufe auch wenn wir uns um die BedĂŒrfnisse unseres Körpers kĂŒmmern, ErnĂ€hrung, SexualitĂ€t, Körperpflege. Lange verweilen Menschen in der Regel nicht ausschliesslich in dieser Phase, denn schon bald suchen sie die Gemeinschaft mit anderen.
Stammeskulturen: Sicherheit und Einordung
Auf die Phase, bei der es primĂ€r um das Ăberleben jedes Einzelnen geht, folgt die der Stammeskulturen. Die Menschen haben die Vorteile des Zusammenhalts entdeckt und organisieren sich in Clans, Familien mit Blutsverwandtschaft, Vereine, ZĂŒnfte usw. Der Einzelne ist hier dem Kollektiv untergeordnet. Mittels 'Story Telling' erklĂ€rt das Kollektiv auch die Welt 'rundherum' inklusive dem, was nicht verstanden wird. Geister, Götter, Magie und Symbole spielen dabei eine wichtige Rolle (2).
Scham und Schuld sind wichtige âWaffenâ damit der âClanâ intakt bleibt. Aus der Reihe tanzen wird nicht geschĂ€tzt, die Tradition, Rituale und klare Hierarchien (DienstĂ€lteste) sind zentral. Gleichzeitig bietet die Gruppe viel Halt und Schutz und ist loyal solange man sich ein- und unterordnet. Genau diese Bedingung wird jedoch auf Dauer oft als zu einengend erfahren.
Macht und Herrschaft
Aus der Stammeskultur entwickelt sich das BedĂŒrfnis Einzelner sich ĂŒber andere zu erheben, mehr zu besitzen und mehr Macht zu haben um das Leben und vor allem die eigene Rolle darin besser kontrollieren und bewĂ€ltigen zu können. In der Geschichte der Menschheit sehen wir wie Pharaonen, StammesfĂŒrsten, Kaiser und Könige die Macht ergreifen und sich dabei gerne auf Götter berufen (Gottesgesandte). Es gibt MachtkĂ€mpfe und Eroberungskriege. Immer wenn ein Mensch sich erheben möchte, wird er die Macht in sich aktivieren, was zu Durchbruch, Ausbruch, Rebellion, UmwĂ€lzung, Selbstdarstellung und EgozentrizitĂ€t fĂŒhren kann. Das nimmt viele Formen an, schafft (Neu-)Raum und bringt Innovation, kann allerdings auch ĂŒbergriffig und zerstörerisch sein.
Seminarunterlage NLPA
Ordnung und Regeln
Daher schlĂ€gt das Pendel irgendwann um. Man hat die WillkĂŒr satt. Die Macht wird verteilt, wir suchen nach fairen Regeln, die Gruppe organisiert sich neu. Gesetze und Regelwerk geben Halt, lassen indessen auch das Beamtenwesen und die BĂŒrokratie entstehen. Es entwickelt sich ein Wertesystem und eine Handlungslogik der Ordnung. Systematisch, geordnet, organisiert, verlĂ€sslich, fair, gesetzkonform. Verhaltenskodex, Normen und Prozessmanagement sind die Schlagwörter.
Leistung und Autonomie
In der Folge wird das Vorgehen, an bewÀhrten Prinzipien festzuhalten vielen zu einseitig, zu trÀge und zu starr. Technologische Entwicklungen fordern ein neues Wertesystem, welches sich an Leistung orientiert. Individuelles Gewinnstreben, Profit, Effizienz, EntwicklungsfreirÀume und wissenschaftliche Analysen statt Traditionen, geregelte AblÀufe, fixe Protokolle und gefestigte Ordnung stehen im Vordergrund. Es wird fleissig gearbeitet, die Grenzen des Machbaren (und Fairen) werden laufend ausgelotet und Wertschöpfung ist gleich monetÀrer Wohlstand.
SystemCoach NLPA - Trainingssequenz
Gemeinschaft und Oekologie
Jedoch auch hierauf folgt eine Reaktion. Irgendwann entdecken wir, dass Arbeit und Geld verdienen nicht alles ist im Leben. Eine Handlungslogik der Gemeinschaft entsteht. Gemeinschaft wird hier jedoch nicht nur als Clan, Familie oder Nation verstanden sondern schliesst weit darĂŒber hinaus alle Lebewesen und Elemente des Planeten mit ein. Begriffe wie WeltbĂŒrger werden eingefĂŒhrt. Geografisch ĂŒber die Grenzen hinaus zu denken, heisst auch ökologisch aktiv zu werden und die Erde als unser aller Zuhause zu betrachten. Toleranz, Beteiligung der Gruppen an Entscheidungsprozessen und Perspektivenvielfallt werden erkennbar. Selbst-Reflexion wird als wichtige Tugend gefordert und gefördert.
Seminarunterlage NLPA
Flex-Flow: systemisch-perspektivisches Bewusstsein
Dadurch, dass sich die KomplexitĂ€t in der Folge weiterer technologischer Entwicklungen enorm erhöht (Informationstechnologie, Biotechnologie, kĂŒnstliche Intelligenz, Roboter, Algorithmen) wird die eher vereinfachte und singulĂ€re Sicht der vorhergegangenen Phasen (âso und nur so ist es richtigâ) ĂŒberholt. Systemische und multi-perspektivische Sichtweisen sind ab hier gefragt. âFlex-Flowâ beschreibt einen Zustand worin ein Mensch sich in einen Bewusstseinszustand versetzt in dem er gleichermassen prĂ€sent und flexibel ist, um auf die sich laufend verĂ€ndernde Umgebung eingehen zu können. Das Ausmass und die Geschwindigkeit der VerĂ€nderungen sind dermassen, dass sĂ€mtliche Erwartungen ĂŒber Konstanten losgelassen werden mĂŒssen. Dabei ist die systemische Vernetzung mittlerweile soweit fortgeschritten, dass Entscheidungen sich an der Nachhaltigkeit und am Wohl des Ganzen orientieren mĂŒssen.
Entwicklungen sind sprunghaft und bedĂŒrfnisgeleitet
Die ĂbergĂ€nge zwischen den Phasen (in alle Richtungen) werden jeweils von den Ă€usseren Bedingungen (Ressourcen, soziopolitische UmstĂ€nde, technologische Entwicklungen, geografische Gegebenheiten, psychosoziale Grundlagen) in Gang gesetzt. Ein Mensch kann in jeder der im Graves Modell beschriebenen Phasen seine ErfĂŒllung finden. Keine Phase ist besser als die andere. Sowie ein Buch aus Silben, Lauten, Wörtern, SĂ€tzen, AbsĂ€tzen, Kapiteln und Teilen besteht. Die KomplexitĂ€t von dem was vermittelt wird nimmt zu. Niemand kann jedoch behaupten, dass ein Satz hierarchisch höher einzustufen ist als ein Wort. Gleichwohl schreitet die Entwicklung voran und der Mensch muss jeweils andere FĂ€higkeiten entwickeln um mit der wachsenden KomplexitĂ€t adĂ€quat umgehen zu können.
SystemCoach NLPA - Trainingssequenz
Das Graves Modell als Roadmap einer komplexen Welt
Das Graves Modell bietet eine âRoadmapâ um sich in der Wertelandschaft von Systemen besser zu orientieren. In der Arbeit mit Systemen (das innere Team, Gruppen, Unternehmen, Familien, Organisationen und ihrer Stakeholder) kann dieses Modell viele wichtige, manchmal bahnbrechende Erkenntnisse verschaffen. Die wohl am meisten gehörten RĂŒckmeldungen von SystemCoach TeilnehmerInnen zum Graves Modell sind, dass sie es bedauern nicht schon frĂŒher gelernt zu haben wie man dieses Modell einsetzt. Und, dass ihnen 'die Schuppen von den Augen fielen', wie als sie das Graves Modell in ihrer professionellen Arbeit mit dazu genommen haben. Mir ging es nicht anders. Daher begleite ich die Studierenden der Weiterbildung SystemCoach NLPA stets wieder mit Begeisterung in der Implementierung des Graves Modells in ihrem professionellen Alltag.
In einem weiteren Artikel werden wir nÀher eingehen auf die praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Graves Modells.
SystemCoach NLPA - Die Weiterbildung
Lesen Sie hier alle Informationen zum SystemCoach NLPA. Eine Weiterbildung zur Beratung in systemischen Feldern fĂŒr in Coaching ausgebildete Professionals.
Anmerkungen
(1) Weitere vergleichbare Entwicklungsmodelle stammen von z.B. Anton Kohlberg, Jean Gebser, Erik Erickson und Carol Gilligan.
(2) Siehe auch: Der Mensch und seine Symbole von Carl Gustav Jung.
Stichworte
Systemisches Denken | Psychologie | Management | Gesellschaft | Clare W. Graves | Betriebliche UmsetzungArpito Storms
NLP-Lehrtrainer, Organisationsentwickler, Kommunikationsexperte, Wingwave, SystemCoach und HypnoCoach Lehrtrainer. Arbeitet seit 30 Jahren professionell im Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation. Begleitet Firmen in wirkungsvoller interner und externer Kommunikation (Management und Consultancy) und Einzelpersonen in Entwicklungsprozessen in deutscher, englischer und holländischer Sprache.
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