MetaSmile Blog
Kann man mit NLP Gedanken lesen?
Der Mythos der Augen-Zugangshinweise
NLPA Flipchart
Woher nur kommt dieses Gerücht?
Eine Plattitüde gleich zu Beginn dieses Artikels: "Alleine deshalb, weil etwas wiederholt behauptet wird, wird es noch lange nicht wahr!" - Ja, klar, nur, woher bloss kommt dieses Gerücht und warum taucht es immer wieder auf? Dafür scheint es zwei Erklärungen zu geben:
(1) Weil es tatsächlich NLP Trainer gibt, die das behaupten!
Es gab viele und es gibt tatsächlich immer noch eine ganze Reihe von in NLP ausgebildeten Menschen, die behaupten, das Modell der Augen-Zugangshinweise des NLP würde erlauben zu erkennen, wann ein Mensch lügt und wann er die Wahrheit sagt.
Eine kurze Recherche im Internet führt zu einer ganzen Anzahl solcher 'Gurus'. So z.B. ein Christian Morgenweck, 'Experte für Lügenerkennung' (christian-morgenweck.com). Jedoch auch viele scheinbar seriösere Websiten wie nlp-erlernen.de oder mynlp.at stricken munter an diesem Mythos.
Es muss somit festgehalten werden, dass die im Lead dieses Artikels gemachte Aussage, es gäbe 'in NLP trainierte Menschen, welche behaupteten über die Augen-Zugangshinweise Lügen erkennen (und damit 'Gedanken lesen') zu können' stimmt. Allerdings heisst dies natürlich noch lange nicht, dass die Aussage auch inhaltlich richtig ist.
(2) Falsch fundierte Forschung
Im Jahr 2012 veröffentlichte der Psychologieforscher Richard Wiseman Forschungen über die' NLP Eye Movement' Hypothese. Allerdings zeigt seine Arbeit bereits in der einführenden Zusammenfassung, dass die der Arbeit zugrundeliegende Hypothese nicht diejenige ist, welche die Begründer*innen des NLP entdeckt hatten, noch in den entsprechenden NLP-Grundlagenreferenzen erwähnt wird. Vielmehr wurde von Wiseman et al. eine eigene Theorie beforscht: "Proponents of Neuro-Linguistic Programming (NLP) claim that certain eye-movements are reliable indicators of lying. According to this notion, a person looking up to their right suggests a lie whereas looking up to their left is indicative of truth telling. Despite widespread belief in this claim, no previous research has examined its validity."
Die Forschungen von Wiseman et al. stellten richtigerweise fest, dass diese Hypothese, welche sie als Behauptung von Befürwortern des NLP hingestellt haben, falsch ist. Was in Wirklichkeit eine sehr gute Nachricht für die Methode NLP ist, da das Feld immer darauf hingewiesen hat, dass Augenbewegungen einen Hinweis geben auf welches Gebiet des Gehirns zugegriffen wird. Und nichts darüber aussagen, ob die (aufgrund des Zugriffs zur Hirnregion) gemachten Aussagen 'wahr' sind oder nicht. (Bolstad 2015)
Die Arbeit von Wiseman et al (2012) wird leider an vielen Orten zur Diskreditierung der ganzen Methode NLP missbraucht.
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Aktuelle Forschung belegt einige Beobachtungen von NLP
Wie Richard Bolstad in seinem höchst lesenswerten Artikel 'Eye Movement Research: Core NLP Hypothesis Vindicated' schreibt, zeigen neuere Studien des isralischen Forschers Dr. Yuval Nir: "Jedes Mal, wenn Sie Ihre Augen bewegen, entsteht ein neues Bild im Auge des Geistes.". Und das ist nun ziemlich genau, was wir im NLP Training und Coaching seit Jahren beobachten. (Bolstad 2015)
Augenbewegungen ändern je nach Kontext und Aufgabe
Im übrigen betonten schon die Begünder*innen des NLP die kontextuelle Natur der Zugangshinweise:
"Unsere Beobachtung ist, dass du alle Systeme ständig nutzt. In einem bestimmten Kontext wirst du jedoch feststellen, dass ein System mehr genutzt wird als ein anderes. Wir gehen davon aus, dass man, wenn man Sport oder Liebe macht, eine große kinästhetische Sensibilität hat. Wenn du einen Film ansiehst, hast du viel visuelles Bewusstsein. Und selbstverständlich kannst du von einem zum anderen wechseln. Es gibt kontextuelle Marker, anhand derer von einer Strategie zur anderen gewechselt wird." (Bandler 1979, S. 36)
Merke: Die Begründer des NLP haben weder behauptet, man könne aufgrund der Augenbewegungen 'Gedanken lesen' noch, dass ein Mensch stabil immer dieselben Muster bevorzugen würde (Typologie)."
Lügt wer lügt?
Nun, das finde ich eine spannende Frage. Dazu gehört auch "Was ist eine Lüge?" bzw. "Wer entscheidet, ob es eine Lüge ist?"
Forschungen belegen, dass wir viele Male am Tag lügen und Lügen selbstverständlich zum sozialen Zusammenhalt beitragen. Man denke nur an Komplimente, Flirten, Schutzbehauptungen ("Die Chefin ist grad ausser Haus."), Entschuldigungen, Notlügen und vieles mehr. Diese höchst natürlichen Varianten des Sozialverhaltens meinen die meisten Menschen denn auch gar nicht, wenn sie von Lügen reden. (Stiegnitz 1991)
Alle Menschen, welche sich von Berufs wegen mit der Wahrheit beschäftigen (Polizei, Lehrer, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Aerzte, Politiker u.ä.) beobachten, dass es manchmal soviele Wahrheiten wie involvierte Menschen zu geben scheint. Neuere forensische Untersuchungen belegen denn auch, dass Menschen sich die Realität 'zurecht denken'. Und dies ganz ohne Absicht. (Shaw 2016)
Dies gesagt, wird noch klarer, warum die Behauptung "Beim Lügen gucken Menschen nach links oben" (visuell konstruiert) so niemals funktionieren kann! Was für Aussenstehende eine 'Lüge', ist für den Betroffenen oft eine erinnerte 'Tatsache'.
Ist es sinnvoll Lügen zu entlarven?
In der Kommunikation lasse ich mich von folgender Prämisse leiten: "Wenn jemand lügt, dann verspricht er/sie sich von der Lüge einen gewissen Vorteil."
Eine solche Prämisse der 'positiven Absicht' ist natürlich nicht wahr. Jedoch öffnet sie verschiedene Denkfenster.
Die ersten vier Denkfenster fokussieren Problemvermeidung, das fünfte das Erlangen eines persönlichen Gewinns.
- Das Unvermögen mit der Wahrheit umzugehen liegt innerhalb des Menschen. - Jeder Mensch hat ein Eigenimage. So, wie er/sie sich (gerne) sieht und/oder über sich selbst denkt. Von Allan Watts (1915 - 1973) habe ich mal das passende Zitat gelesen "It is you who defines the I you think of when you say I"
- Der Mensch denkt/meint/vermutet, die nächsten Menschen könnten nicht mit der Wahrheit umgehen.
- Der Mensch denkt/meint/vermutet, das grössere System könne nicht mit der Wahrheit umgehen.
- Der Mensch denkt/meint/vermutet aus der Wahrheit könnte ihm/ihr ein wesentlicher Nachteil entstehen.
- Der Mensch denkt/vermutet, dass die Lüge ihm/ihr einen sonst nicht oder kaum erreichbaren Vorteil verschaffen könnte.
Je nach persönlicher Ausrichtung (Metaprogramme) vermutet der lügende Mensch mehr oder weniger (bzw. hat deutliche Hinweise, davon ausgehen zu müssen) Nachteile für sich selbst, die nächsten Mitmenschen und/oder das grössere System falls die Wahrheit ausgesprochen würde bzw. ans Licht käme. Und/oder er/sie hat den eigenen (oft kurzfristigen) Vorteil im Focus.
Basierend auf dieser Vorannahme bin ich in Kommunikation immer daran interessiert, eine Atmosphäre zu gestalten, welche der Person erlaubt wenigstens gegenüber sich selbst und gegenüber mir als begleitender Person (Supervision, Coaching, Management, Familie) möglichst offen und ehrlich zu sein.
Falls ich also denke, das Gegenüber würde 'lügen', nehme ich dies zuerst mal als Feedback für mich und als Aufgabe, wie ich die Beziehung (Rapport) der Person mit sich selber und mit mir so verbessern könnte, dass mehr Offenheit und Vertrauen möglich wird. - Jedoch niemals zum Grund von Anklage gegenüber der Person: "Du lügst!". Eine solche Anklage würde in aller Regel die Offenheit und das Vertrauen zwischen uns nur weiter schmälern.
Hinweis: Eine Vorannahme (Axiom, Grundannahme, Prämisse) stellt keine Wahrheit dar sondern vielmehr eine hilfreiche Hypothese der kommunikativen Arbeit. Eine Vorannahme kann und soll jederzeit verworfen werden, wenn das Vermögen mit der realen sich präsentierenden Situation optimal umgehen zu können durch die Vorannahme eingeschränkt wird.
Literatur
- Bandler 1979: Bandler, R. & Grinder, J. ; Frogs into Princes, Real People Press, Moab (1979); in Deutsch: Neue Wege der Kurzzeittherapie, Junfermann Paderborn (2013)
- Bolstad 2015: Dr Richard Bolstad; Eye Movement Research: Core NLP Hypothesis Vindicated; zu finden auf https://www.ia-nlp.org/pdfdocs/SciRes_EyeAccessingCues_Bolstad.pdf oder http://www.transformations.net.nz/trancescript/eyes.html am 10.11.2019
Der Artikel von Richard Bolstad enthält auch eine ausführliche Literaturliste zum Thema. - Shaw 2016; Dr. Julia Shaw; Das trügerische Gedächtnis: Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht; Carl Hanser Verlag (2016)
- Stiegnitz 1991: Peter Stiegnitz; Lügen lohnt sich. Lüge – Wahrheit – Wirklichkeit. Eine sozialanalytische Studie. Haag + Herchen, Frankfurt/M. (1991)
- Wiseman R, Watt C, ten Brinke L, Porter S, Couper S-L, et al. (2012) The Eyes Don't Have It: Lie Detection and Neuro-Linguistic Programming. PLoS ONE 7(7): e40259. doi:10.1371/journal.pone.0040259
Stichworte
Wahrnehmung | Typologie | Sinnessysteme | Psychologie | Geschichte des NLP | EMDR | CoachingUeli R. Frischknecht
Lehrgangsleitung NLPA, Supervision, Coaching und Workshops, mit oder ohne Mountainbike, Wandern bzw. LineDance.
geb. 1955; eidg. dipl. Erwachsenenbildner; NLP-Lehrtrainer NLPA, DVNLP, IANLP; MAS Supervision/Coaching PHSG. 1980 Gründung der eigenen Unternehmensberatungsfirma, Mitinitiator u. Geschäftsleitungsmitglied von Firmen und Institutionen im Bereich der Erwachsenenbildung.
1989 Gründung der NLP Akademie Schweiz.
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