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Ins Feuer mit dem Stuss!
Coaching mit NLP widerspricht nicht neurobiologisch fundierten Wirksamkeitskriterien.
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Artikel basiert auf einem Erstabdruck im Praxis Kommunikation 05/2019
Neurobiologische Wirksamkeitskriterien von Coaching
In ihrem Integrationsmodell gehen Gerhard Roth und Alica Ryba (Roth 2016) davon aus, dass ein Coaching, neurobiologisch betrachtet, wirksam ist, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Der Coach geht zentral auf die Eigenheit der Persönlichkeit des Coachees ein.
- Er legt großen Wert auf den Aufbau des Arbeitsbündnisses.
- Er begegnet seinem Coachee auf Augenhöhe.
- Gemäß dem Drittelgesetz (entweder eine Intervention wirkt oder sie wirkt mittelmäßig oder gar nicht) verfügt er über eine umfangreiche Toolbox unterschiedlicher Interventionen.
- Die Interventionen sollten in der Lage sein, jene drei Gehirnareale zu aktivieren, welche die psychische Befindlichkeit, das Verhalten und körperliche Zustände beeinflussen.
- Für die Veränderung der psychischen Befindlichkeit nach der „Allgemeinen Psychotherapie“ (Klaus Grawe) ist folgende Schrittfolge sinnvoll: Aufbau der Arbeitsallianz, Problembestimmung, motivationale Klärung, Ressourcenaktivierung, Problemlösung. Essenziel ist hierbei die Kontrastierungsmethode.
- Das Verändern auf der Verhaltensebene setzt ein genaues Ergründen der dysfunktionalen Verhaltensschemata (Prägungen) voraus, gerade auch dann, wenn sie dem Klienten nicht bewusst sind.
Der Schweizer Psychologieprofessor Hansjörg Znoj und ich formulieren folgende Hypothese: Ein Coaching mit NLP, wie ich es etwa in der „Allgemeinen Interventionspraxis“ in Ausgabe 6/2018 von PRAXIS KOMMUNIKATION (Junfermann 2018) dargestellt habe, widerspricht weder den Wirksamkeitskriterien von Grawe/Roth noch dem Integrationsmodell von Ryba/Roth.
Ich möchte dies zeigen am Beispiel eines Coachings, das ich mit Hansjörg durchgeführt habe. Er hatte mit Klaus Grawe und weiteren Mitarbeitern vor 15 Jahren die „Allgemeine Psychotherapie“ formuliert. (Grawe 2000)
Das Buchprojekt
Hansjörg und ich beschlossen im Sommer 2014 gemeinsam ein Buch zu schreiben, das eine Art Brücke bilden soll zwischen der Wirksamkeitsforschung psychologischer Interventionen und der Praxis des Coachings. Da wir beide anderweitig stark engagiert sind, beschlossen wir uns pro Jahr zwei bis drei Wochen eine Auszeit zu nehmen, um an diesem Projekt zu arbeiten.
Im Januar 2015 flogen wir nach Sharm El-Sheik. Hansjörg arbeitete in dieser Zeit seit über einem Jahr an einem Buch über den Trauerprozess. Er hatte aber noch kein Wort zu Papier gebracht. Das bedrückte ihn offenkundig, und wir entschieden uns, an seinem Schreibstau zu arbeiten. Er wollte nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erfahren, wie ich arbeite.
Zu Beginn verwendeten wir mehrere Stunden darauf uns klar zu werden, wie wir unser gemeinsames Buchprojekt auf der einen Seite und das Coaching zu seinem Buchprojekt auf der anderen Seite angehen wollten. Jeder legte seine Vorstellungen dar, der andere fasste das Gesagte zusammen und wir gestalteten daraus gemeinsam ein Drittes. Das Arbeitsbündnis war geschmiedet.
Den Coachingprozess begannen wir mit einer der Zielbestimmung. Der Zielsatz lautete am Schluss: „Spätestens am 30. Juni 2015 habe ich mein Buch über Trauer mit Freude und Leichtigkeit geschrieben und das Manuskript der Lektorin übergeben.“
Am nächsten Morgen erzählte Hansjörg, dass er, wie so oft in den letzten Monaten, vom Schreiben des Buches geträumt habe: „Wie immer bin ich dabei in einen Pool von Wörtern gefallen. Im Unterschied zu allen vorherigen Malen bin ich dabei aber nicht ertrunken, sondern im Boden des Bassins öffnete sich ein Pfropfen und die Wörter sind abgeflossen!“ Es schien, als hätten allein Arbeitsbündnis und Zielbestimmung seine Befindlichkeit zu verändern begonnen.
Arbeit mit dem sozialen Panorama
Am nächsten Tag bat ich Hansjörg, sich mit allen fünf Sinnen in den künftigen Prozess des Schreibens des Buches hinein zu assoziieren und zu sagen, wie er sich dabei fühlte. Sein Zustand änderten schlagartig: „Mies, es ist dunkel, ich fühle mich schwer, gebremst, körperlich erstarrt!“ Dies manifestierte sich auch körperlich: angestrengtes Gesicht, eingefallene Schultern, stockende Stimme.
Wir entschlossen uns mit dem sozialen Panorama von Lucas Derks (Derks 2000) zu arbeiten. Zuerst lokalisierte er die körperliche Erstarrung. Ihr Ursprung war eine drückende Masse im Bauchbereich. Hansjörg manifestierte die Masse anschließend im Raum um ihn: ein Fels, der etwa einen halben Meter vor ihm am Boden steht, drei Meter hoch und einen Meter breit, schwarz und kompakt.
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Als angenehme Referenz wählte Hansjörg nun etwas aus, das er sehr gerne tut: Motorradfahren (Znoj 2010). Diese Tätigkeit manifestierte sich als hellrotes Wölkchen, das einen Meter links vor ihm im Raum schwebte. Im darauffolgenden Prozess verwandelte er die Vorstellung des Schreibens (Fels) in die Vorstellung des Motorradfahrens (Wölkchen). Aus dem schwarzen Fels wurde eine blaue Wolke am Standort des Wölkchens und fortan fühlte sich der Schreibprozess nicht mehr mühsam an.
Hansjörg empfang stattdessen Freude, Begeisterung und Enthusiasmus. Er stand aufrecht im Raum, die Stimme klar und dynamisch, und ich schlug vor, auf diesen Erfolg am Strand ein kühles „Sakara“ zu trinken. Hansjörg schüttelten den Kopf: „Keine Zeit, muss das Inhaltsverzeichnis schreiben! Ich glaube, ich mache 10 Hauptfragen mit jeweils 10 Unterfragen, die ich dann alle beantworten kann.“
Unsere Frage und Sorge war, wie lange die Veränderung anhalten würde?
Integration of Conflicting Believes
Am nächsten Morgen hatte Hansjörg die Hauptfragen erarbeitet und schon 20 Unterfragen formuliert. Es waren ihm aber Zweifel gekommen: „Ist das wirklich seriöse Wissenschaft, wenn es Spaß macht?“ Diese innere Stimme haben wir im mentalen Raum aufgebaut. Sie formte sich zu einer Figur, etwa 1,5 Meter entfernt rechts von ihn. Hansjörg versetzte sich in die Figur hinein und sagte, was gesagt werden muss: „Wenn du dich vergnügst, kann das nie den Anforderungen entsprechen, die du als Wissenschaftler erfüllen musst. Wissenschaft ist harte Arbeit und nicht Fun!“
Was hat die andere Figur, der „Hansjörg“ darauf geantwortet? „Unsinn! Je mehr Spaß und Begeisterung ich habe, desto besser wird das Resultat!“
Zwei konkurrierende Überzeugungen lassen sich klassisch mit dem NLP-Format Integration of Conflicting Beliefs (Verhandlungsreframing) bearbeiten. Nach dieser Intervention, die etwa zwei Stunden dauerte, waren weder im assoziierten noch dissoziierten Zustand Zweifel-Stimmen zu hören. Die beiden Überzeugungen waren auf einer höheren Ebene integriert und Hansjörg ging gleich die nächsten 30 Fragen konzipieren. Später wird er mitteilen, dass er sein Buch, das er neben der normalen Vorlesungstätigkeit geschrieben hat, einen Monat früher als geplant abschließen konnte.
klassisches Verhandlungsreframing (NLPA)
Offensichtlich führte die Summe der drei Interventionen zu einem tiefen, nachhaltigen Lernprozess, in dessen Verlauf sich die Befindlichkeit (seelisch und körperlich) und das Verhalten änderte. Wir dachten, dass nun auch unser gemeinsames Buchprojekt ganz easy voranschreiten würde. Das war nicht der Fall.
Streit und der etwas andere Dreh
Im September 2015 zogen wir uns für das Projekt eine Woche in den Südschwarzwald zurück. Am Ende hatten wir, statt konstruktiv zu arbeiten, über 250 Seiten lang versucht, uns schreibenderweise gegenseitig zu übertrumpfen. Wie zwei pubertierende Jungs mit ihren Mädchen-Erfahrungen.
Bei der nächsten Gelegenheit, in Marsa Alam, befassten wir uns mit Hansjörgs Wutanfällen. Er bekommt sie jeweils dann, wenn ihm Peers von wissenschaftlichen Fachzeitschriften „Verbesserungsvorschläge“ für seine Paper unterbreiten. „Ich habe schon einige Veröffentlichungen sausen lassen!“ Sein Zielsatz lautete daher: „Spätestens am 1. Juni 2016 reagiere ich auf Kritik und Feedback ruhig, gelassen und konstruktiv.“ Die Arbeit verlief ähnlich wie seinerzeit an der Schreibblockade. Es fand sich ein körperlicher Widerstand zu dem Zielsatz, dem wir diesmal mit einem Re-Imprinting auf der imaginierten Zeitlinie bis in seine Kindheit nachgingen. Im Alter von vier Jahren fanden wir den Prägungspunkt: Der kleine Hansjörg wurde stockwütend, da seine Eltern und Bekannte der Eltern sich „anmaßten, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen hatte“.
Wir konnten diese Situation bearbeiten und umprägen. Mit der neu geprägten Erinnerung stand Hansjörg aufrecht im Raum und sprach mit fester Stimme seinen Zielsatz zu Kritik und Feedback. Seinen alten Glaubenssatz, wonach es immer „einen Idioten“ geben würde, der sich erdreistet, ihm zu sagen, was er tun und lassen solle, konnte er nicht mehr ohne zu stocken formulieren. Und er bekundete Mühe, die weiteren Kommentare zu meinen Erläuterungen zu schreiben. Stattdessen ging er im Riff tauchen.
Hansjörg und Adrian in den Pyrenäen
Unsere nächsten Schreibferien fuhren wir über Marienbad und Opeln nach Krakau und dann über Auschwitz, Breslau und Karlsbad wieder zurück. Auf der Fahrt machte Hansjörg den Vorschlag, „unserem“ Projekt einen „etwas anderen Dreh“ zu geben. „Anstatt dass ich nur versuche, dir zu helfen, deine Vorgehensweise wissenschaftlich zu untermauern, könnte ich doch auch versuchen, die von Grawe und unserem Team entwickelte ‚Allgemeine Psychotherapie’ auf deine Arbeit anzuwenden und zu prüfen, ob sie deren Kriterien entspricht. Was hältst davon?“
Uns wurde sofort klar, dass das Re-Imprinting gewirkt hatte: Er glaubte nun nicht mehr, dass ich ihm sagen würde, was er zu tun habe. Er konnte sich sogar vorstellen, dass wir uns ergänzen können, was vorher scheinbar nicht möglich war. Die Erfahrung, die Schreibblockade überwunden zu haben und das Buch in nur fünf Monaten mit Freude geschrieben zu haben, hatte nicht zur Kooperation ausgereicht. Immer noch hatten ihn die Angst und die Wut aus seiner Kindheit bestimmt: „Was maßt sich dieser Anwalt an, mir als Psychologieprofessor zu sagen, wie man therapiert!“ Das war mit dem Re-Imprinting nun überwunden.
Stop und von vorn in den Pyrenäen
Anfang Februar 2017 brachen wir zu einer zweiwöchigen Schreibfahrt durch die Pyrenäen auf. Schon am ersten Arbeitstag wurde uns klar, dass wir noch mal von vorne beginnen mussten, da der kriegerische Strizzi-Stil, in dem wir bis jetzt geschrieben hatten, nicht mehr zur neuen Ausrichtung unseres Projektes passte. Ohne mit der Wimper zu zucken warfen wir die bisher geschriebenen 250 Seiten ins Feuer und begannen von vorne. Am Atlantik angekommen hatten wir völlig stressfrei 200 Seiten neu verfasst. Dabei fühlten wir uns, als hätten wir Urlaub gemacht. Uns wurde klar, dass wir das gleiche Kernprinzip der Veränderung anwenden wie in den Coachings: Wir verändern Gefühle mit Gefühlen! Wir versuchen, uns morgens nicht mit Gedanken zum Schreiben zu disziplinieren, sondern bringen uns durch das Erleben neuer Länder und Landschaften in einen guten, offenen und neugierigen Zustand, den wir dann zum Schreiben nutzen. Das Urlaubsgefühl ist die Ressource, die uns hilft mit Freude zu „arbeiten“.
Nach demselben Prinzip gingen wir dann wir auch im Val Mustair, in Riga, Jürmala und auf Mallorca vor, wo wir das Projekt abgeschlossen haben. Das Buch wird bald erscheinen!
Fazit
Rein technisch betrachtet sind wir in allen wesentlichen NLP-Interventionen (soziales Panorama, Integration konfligierender Glaubenssätze und Re-Imprinting) genau den Schritten gefolgt, welche schon Klaus Grawe und sein Team als wesentlich für eine wirkungsvolle Therapie herausgearbeitet hatten und die Gerhard Roth, Alica Ryba und Nicole Strüber neurowissenschaftlich bestätigen konnten: Arbeitsbündnis aufbauen, Problem emotional aktualisieren, Motive herausarbeiten, emotionale stark positiv besetzte Ressourcen finden und Lösung generieren mittels Verschmelzung von Ressource und Problemzustand. Damit konnten wir die Gültigkeit der eingangs formulierten Hypothese bestätigen.
On the Road
Wir sind ferner davon überzeugt, dass auch die anderen Erfordernisse, die Ryba und Roth in ihrem Integrationsmodell aufstellen, nicht im Widerspruch zu unserer Vorgehensweise stehen. Ich bin als Coach zentral auf die Eigenheiten von Hansjörgs Persönlichkeit eingegangen und wir sind uns auf Augenhöhe begegnet. Ich habe ihm mehrere unterschiedliche Interventionen aus der großen Toolbox des NLP angeboten und konnte so offenbar die drei zur Veränderung wesentlichen Gedächtnisse aktivieren, denn die Interventionen haben unzweifelhaft langfristig und nachhaltig seine psychische Befindlichkeit, hier speziell seine Erinnerung und Überzeugungen, und auch sein Verhalten verändert. Ebenso zeigte er nach allen Interventionen eine andere Körperlichkeit: Stimme, Haltung, Tonus der Haut und Submodalitäten der Sinnessysteme. Die Veränderung der Befindlichkeiten erfolgt mit der weiterentwickelten Kontrastierungsmethode: Problemzustand und Ressource werden sozusagen kontrastiert und anschließend verschmolzen. Es ergeben sich Lösungen, die vorher nicht möglich waren.
Da NLP nicht ein One-fits-all-Verfahren anbietet, sondern Dutzende verschiedene, unterschiedliche und komplexe Intervention zur Verfügung stellt, hat vermutlich ein Coaching mit NLP, - angewendet von einem exzellent ausgebildeten Coach oder Therapeuten -, gerade wegen der Drittel-Regel, eine sehr hohe Wirksamkeits-Wahrscheinlichkeit.
Literatur
Derks 2000: Lucas Derks; Das Spiel sozialer Beziehungen: NPL und die Struktur zwischenmenschlicher Erfahrung; Klett-Cotta Stuttgart
Grawe 2000: Klaus Grawe; Psychologische Therapie; Hogrefe Göttingen
Junfermann 2018: Adrian Schweizer, Allgemeine Interventionspraxis, in Praxis Kommunikation, Heft 6/2018, Junfermann Verlag Paderborn
Roth 2016: Gerhard Roth und Alica Ryba; Coaching, Beratung und Gehirn, Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte; Klett Cotta Stuttgart
Znoj 2010: Hansjörg Znoj; Die Psychologie des Motorrads; Huber Verlag Bern
Ein ausführliches Literaturverzeichnis können Interessenten unter schweizer.coaching.mediation@gmail.com erbitten.
Stichworte
Psychologie | Coaching | BeliefsAdrian Schweizer
Praktiziert(e) als Offizier die Konfliktlösung mit Macht, als Rechtsanwalt mit Recht und als Mediator und Executive Coach mit Interessenausgleich. Er absolvierte seine NLP-Ausbildung bei Gründern und Aktivisten des NLP. Seit 1994 ist er Master-Trainer (Robert Dilts) und seit 2002 certified Trainer der Society of NLP. Mit Reiner Ponschab hat er verschiedene Bücher zur Mediation und zur kooperativen Konfliktlösung geschrieben und arbeitet heute als Executive Coach und Wirtschaftsmediator in Europa und Übersee. Als Dozent an in- und ausländischen Universitäten und Hochschulen lehrt er Mediation, Kommunikation und Coaching.
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