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Formelles vs. informelles Lernen
Die Entmachtung der Schule als alleiniger Lernort
Dieser Text ist ein Auszug aus der Masterarbeit "Selbstreflexives Lernen praktizierender SupervisorInnen" (Frischknecht, 2017)
Lernen als Anpassungsleistung
Die Fähigkeit zu lernen ist primär eine Anpassungsleistung jedes Organismus, um unter den Anforderungen des umgebenden Systems überleben zu können. Darüber hinaus lernen höher entwickelte Wesen (Menschen, Tiere) eigenständige Verhaltensformen zu entwickeln, um eigene Interessen und Absichten in das sie umgebende System einbringen zu können. (Lefrancois, 1994, S. 3, S. 21)
Proaktives und reaktives Lernen
Lernen findet unbewusst, bewusst und geplant statt. Dank seiner Fähigkeit zu lernen, kann der Mensch Bildung erwerben. Klafki definiert Bildung als ein auf der Basis von Wissen und Können reflektierendes Verhältnis zum eigenen Selbst und zum umgebenden System. (Klafki, 1990, S. 94) Lernen kann proaktiv und reflexiv geschehen (ein Mensch begibt sich absichtlich planend in ein Lernfeld und reflektiert anschliessend die gemachte Erfahrung). Beim reaktiven Lernen wird vom klassischen Konditionieren (Lefrancois, 1994, S. 33) oder umgangssprachlich auch etwa von Schmerzlernen gesprochen.
Definition der EU
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften unterscheidet in ihrem 'Memorandum über Lebenslanges Lernen' formales Lernen, nicht-formales Lernen und informelles Lernen. Formales und nicht-formales Lernen findet demgemäss eher im institutionellen Rahmen statt und bezweckt die Aneignung definierter Fähigkeiten. Wohingegen informelles Lernen definiert wird als "eine natürliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens". Und weiter: "Anders als beim formalen und nicht-formalen Lernen handelt es sich beim informellen Lernen nicht notwendigerweise um ein intentionales Lernen, weshalb es auch von den Lernenden selbst unter Umständen gar nicht als Erweiterung ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten wahrgenommen wird." (EU, 2000, S. 9ff).
Informelles Lernen findet zuwenig Anerkennung
Ergänzend stellt Thomas Reglin in einem undatierten Bericht zur Anerkennung und Anrechnung des informellen Lernens fest: "Informelles Lernen findet integriert in Lebens- und Arbeitszusammenhängen statt und wird oftmals – individuell und gesellschaftlich – nicht oder nicht angemessen wahrgenommen." (Reglin, ca. 2014, S. 2) Einig scheint sich die Forschung darin zu sein, dass informelles Lernen ausser-institutionell, also nicht in einem geplanten, regelmässig wiederkehrenden institutionellen Gefäss, stattfindet. Die meisten Autoren weisen auch darauf hin, dass informelles Lernen häufig nicht-intentional ist und wenig Anerkennung findet. So betont auch das Glossar des Projekts 'Kompetenzentwicklung in vernetzten Lernstrukturen' der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, dass informelles Lernen eine Lernart sei, "bei der sich ein Lernergebnis einstellt, ohne dass dies von vornherein bewusst angestrebt wird." (KomNetz, 2006)
Die offizielle Anerkennung von ausserschulischem Kompetenzerwerb
Unbefriedigend ist diese Definition des informellen Lernens allerdings im Hinblick auf die Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen. Gilt doch hier das Prinzip: Eine Kompetenz kann - unabhängig von der Art und Weise, wie diese erworben wurde - dann Anerkennung finden, wenn der Kompetenzerwerb ausreichend dokumentiert und reflektiert wird.[1] Es wird also unterschieden zwischen reflektiertem und unreflektiertem (informellen) Lernen.
[1] Grundlegende Arbeit zur Anerkennung unterschiedlich erworbener Kompetenzen leistete und leistet die Gesellschaft CH-Q mit ihrem Qualifikationshandbuch zur Selbstevaluation erworbener Kompetenzen. (Schweizerisches Qualifikationsprogramm zur Berufslaufbahn, 1999 - 2014)
Beispiel persönlicher Dokumentation Kompetenzerwerb
Formelles, informelles und beiläufiges Lernen
Diese Unterscheidung des Lernens wird im Modell von Dieter Kirchhöfer besser abgebildet. Er unterscheidet Lernen nach dem Grad der Selbststeuerung und der Reflexion:
- "Der Terminus formelles Lernen bezeichnet Lernprozesse, die institutionalisiert, curricular organisiert und wesentlich fremdgesteuert vollzogen werden.
- Der Terminus informelles Lernen bezeichnet Lernprozesse, die durch das Subjekt als Lernen antizipiert, selbstorganisiert und reflektiert werden, eine Eigenzeit und gerichtete Aufmerksamkeit erfordert, an Problemsituationen gebunden, aber nicht in eine Institution eingebunden sind.
- Der Terminus beiläufiges Lernen (en passant-Lernen) bezeichnet Lernprozesse, die intentional nicht auf das Lernen orientiert sind, gleichzeitig zu einer anderen Tätigkeit (zu ihr beiläufig) verlaufen und vorerst unreflektiert vollzogen werden." (Kirchhöfer, 2004, S. 85)
[...]
Selbstreflexives Lernen typisch für beratende Berufe
Typisch für alle beratenden Berufe (hier Supervision) ist, dass die Reflexion des eigenen beruflichen Handelns eine zentrale Evaluations- und Qualitätssicherungsmassnahme darstellt. Rolf Haubl beschreibt diese Fähigkeit in seinem Buch 'Unter welchen Bedingungen nützt die Supervisionsforschung der Professionalisierung supervisorischen Handelns?' als Kompetenz zur "Reflexion-während-des-supervisorischen-Handelns" um die "Reflexion-über-das-supervisorische Handeln" (Haubl, 2009, S. 191) anschliessen zu können.
Man spricht von selbstreflexivem Lernen und meint damit Lernprozesse, bei denen das Objekt des Lernens Prozesse der lernenden Person (hier SupervisorIn) sind und durch die lernende Person selbst reflektiert werden. Oder, wie Matthias Fink formuliert: "Selbstreflexives Lernen setzt […] am Nachdenken über das eigene Lernen an und dreht sich zurück bzw. wendet sich um oder auf das Gelernte." und weiter, es bezieht sich "auf die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit den eigenen Lernprozessen, -gegenständen oder -resultaten" (Fink, 2010, S. 12). Selbstreflexives Lernen kann sowohl formell (in Ausbildungsangeboten) wie auch informell ausgeübt werden.
[...]
Zusätzlich benötigt selbstreflexives Lernen jedoch nicht nur die oben beschriebenen Kompetenzen der Selbstorganisation, sondern auch die Fähigkeit, sein eigenes (professionelles) Handeln wahrnehmen und so überhaupt in die Reflexion einbringen zu können. (Haubl, 2009, S. 191)
Literaturhinweise
- EU, 2000: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (EU). (Hochschulrektorenkonferenz HRK, Hrsg.) Abgerufen am 12. 12 2016 von www.hrk.de
- Fink, 2010: ePortfolio und selbstreflexives Lernen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH (2010)
- Frischknecht, 2017: Ueli R. Frischknecht; Selbstreflexives Lernen praktizierender SupervisorInnen; NLP Akademie Schweiz, Luzern (2017)
- Haubl, 2009: Unter welchen Bedingungen nützt die Supervisionsforschung der Professionalisierung supervisorischen Handelns? In R. Haubl, & B. Hausinger (Hrsg.), Supervisionsforschung: Einblicke und Ausblicke (S. 251). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Kirchhöfer, 2004: Lernkultur Kompetenzentwicklung – Begriffliche Grundlagen. Berlin: Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung (2004)
- Klafki, 1990: Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In H.-H. Krüger (Hrsg.), Abschied von der Aufklärung? (S. 91ff). Opladen: Leske + Budrich (1990)
- KomNetz, 2006: Glossar für die betriebliche Bildungsarbeit. KomNetz Projekt „Kompetenzentwicklung in vernetzten Lernstrukturen“. Hamburg: Helmut-Schmidt-Universität (2006)
- Lefrancois, 1994: Psycholgie des Lernens. Berlin: Springer Verlag (1994)
- Reglin, ca. 2014: Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB. (f.-b. F. Bildung, Hrsg.) Abgerufen am 12. 12 2016 von www.bibb.de:
Stichworte
Supervision | Pädagogik | Lehren und Lernen | Evaluation | Dynamic LearningUeli R. Frischknecht
Lehrgangsleitung NLPA, Supervision, Coaching und Workshops, mit oder ohne Mountainbike, Wandern bzw. LineDance.
geb. 1955; eidg. dipl. Erwachsenenbildner; NLP-Lehrtrainer NLPA, DVNLP, IANLP; MAS Supervision/Coaching PHSG. 1980 Gründung der eigenen Unternehmensberatungsfirma, Mitinitiator u. Geschäftsleitungsmitglied von Firmen und Institutionen im Bereich der Erwachsenenbildung.
1989 Gründung der NLP Akademie Schweiz.
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