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Es ist der Rapport, Stupid!
Wie wir die kommunikative Allianz aufbauen.
Rapport ist natürlich ("2WAVES, l950" by Unknown LA Times staff photographer)
Artikel basiert auf einem Erstabdruck im Praxis Kommunikation 05/2016
Die therapeutische Allianz als wirksamstes Tool zum Erfolg
Der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth stellt in seinem Forschungsbericht (1) über die Wirksamkeit therapeutischer Interventionen fest, dass über 50 Prozent des Erfolges einer Intervention davon abhängen, ob der Therapeut oder Coach in der Lage ist, mit seinem Gegenüber eine therapeutische Allianz einzugehen.
Was meint er mit der therapeutischen Allianz und wie baut man sie auf? Für Roth ist die therapeutische Allianz dann gegeben, wenn der Therapeut fest davon überzeugt ist, dass er dem Klienten helfen kann und dass er über die erforderlichen Instrumente, Fähigkeiten und Techniken verfügt. Der Klient andererseits muss davon überzeugt sein, dass der Therapeut ihm helfen kann. Beide glauben also an das gemeinsame Unterfangen.
Rapport lässt sich in jeder Kommunikation beobachten
Was Roth beschreibt, wird im NLP als Rapport bezeichnet: Der Klient glaubt, dass Hilfe möglich ist und vertraut dem Coach, dass er ihm helfen kann. Der Coach vertraut sich selbst und dass er dem Klienten helfen kann. Rapport wird im klassischen NLP mit Pacing und Leading initiiert oder, wie es mir John Grinder im April 2016 in einem Gespräch in Wien beschrieb, mit „Micro-Muscle-Mirroring“: Man beobachte den Atemrhythmus des Klienten, seine Wortwahl, seine Bewegungen, seine Schrittfolge und synchronisiert sich mit diesem bis zum „Gleichklang“. Dann „führt“ man den Coachee in die Richtung, die für die Intervention notwendig ist. John erzählte noch, wie er vor Jahren festgestellt hatte, dass sein Pferd beim Reiten seinen Atemrhythmus spiegele. Er glaubt, dass das Synchronisieren ein universelles Lebensprinzip ist. (A)
Guter Rapport ist auch Gesprächskultur
Geh in die 2nd Position!
Das Vorgehen im Rapport kann recht mechanisch wirken. Kollegen erzählen gelegentlich, dass Klienten sie baten, es zu unterlassen, ihre Schrittfolge „abzunehmen“. Wie es eleganter und ohne mechanisch zu wirken geht, zeigt eine Szene in dem Film „Das Leben der Anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck: Der Abhörspezialist Wiesler hat im Estrich seine Geräte aufgebaut und die Zimmerumrisse der zu überwachenden Wohnung mit Kreide auf den Boden gemalt. Um seine Opfer besser verstehen zu können, stellt er sich vor, er wäre sie, und er spielt sie nach, während er hört, was sie sprechen.
Wiesler geht, um es im Modell der Wahrnehmungspositionen von John Grinder und Judith DeLozier (2) darzustellen, in die sogenannte 2nd Position: Er stellt sich vor, er wäre der andere. Dies führt aus meiner langjährigen Erfahrung als Coach viel schneller und natürlicher zu Rapport als „Micro-Muscle-Mirroring“. Grinder und DeLozier gehen davon aus, dass sich sämtliche mentalen Perspektiven, die wir in unserem Geist-Körper-System einnehmen können, in drei Cluster zusammenfassen lassen.
Rapport ist ein Alltagsphänomen
Wahrnehmungsposition 1, genannt 1st Position: Ich bin ich selbst, assoziiert mit dem, was ich fühle. Schaue in die Welt aus meinen Augen.
Wahrnehmungsposition 2, genannt 2nd Position: Ich bin mein Gegenüber. Ich bin assoziiert mit dem, was er fühlt. Schaue in die Welt aus seinen Augen.
Wahrnehmungsposition 3, genannt 3rd Position: Ich bin ein unabhängiger Beobachter und betrachte mich und den anderen von außen. Ich bin dissoziiert von den Gefühlen und habe Gedanken zu dem, was ich beobachte.
Ich muss mich in die Welt des anderen einfühlen wollen.
Ich postuliere unter Bezugnahme auf Ken Wilbers AQAL-Modell (3) und Robert Dilts’ Hinweise auf Felder (4) eine vierte Wahrnehmungsposition, genannt 4th Position: Ich betrachte das System, in welchem ich mich und du dich und alle anderen sich aufhalten, von einem höheren Standpunkt aus. Ich bin dissoziiert von mir und allen anderen und gleichzeitig assoziiert mit dem großen Ganzen (Feld, Universum, Schöpfung).
Wenn Ihnen Ihr Sohn erzählt, wie er heute Morgen von einem Fahrrad im Park angefahren worden und in hohem Bogen in den Stachelbusch geflogen ist, dann stellen Sie sich vor, Sie wären er. Sie werden angefahren, fliegen in den Busch und ziehen sich nun ebenfalls die Dornen aus dem Arm. Sie spüren seinen Schmerz. Sie fühlen vielleicht seine Wut auf den Radfahrer. Und seinen Ärger über sich selbst, dass er dies nicht vorausgesehen hat.
Bedingungen für guten Rapport
Die Einnahme der Wahrnehmungspositionen lässt sich üben. (A) Zum Beispiel indem wir abends ein wichtiges Ereignis vom Tag noch einmal aus allen vier Perspektiven betrachten. Tun wir das konsequent, können wir nach wenigen Wochen feststellen, wie wir in der Wahrnehmung flexibler und einfühlsamer geworden sind. Außerdem braucht es noch folgende Bedingungen für einen guten Rapport:
Interesse für andere Weltsichten (ethnorelativ)
Ich muss mich in die Welt des anderen einfühlen wollen. (5) Wenn ich das nicht will, weil ich denke, meine Welt sei eh besser oder in der Welt der anderen gäbe es für mich nichts zu entdecken, dann werde ich mich weigern, überhaupt in die 2nd Position zu gehen: In den USA wollen sich viele Weiße gar nicht in die Indianer einfühlen. Und viele Immigranten dort sprechen auch nach 50 Jahren Aufenthalt kein Wort der Sprache des Gastlandes.
Bereitschaft für Veränderung
Sich einzufühlen verändert das eigene Weltbild. Wer das nicht zulässt, kann kein Vertrauen aufbauen (Ken Wilber). John Grinder erzählte mir in jenem Gespräch in Wien von einem Schlüsselerlebnis. Das war 1962, als er in Augsburg stationiert war und sich auf die deutsche Kultur und das Erlernen der deutschen Sprache einließ: „Getting deep into a new language changed my world totally and I decided to study linguistics“. Etwas Ähnliches erlebte ja auch der Stasi-Mann Wiesler im Film „Das Leben der Anderen“.
Konstruktivistische Weltsicht
Die Grenze der Vertrauenstiefe, die ich mit jemandem aufbauen kann, liegt nicht im anderen, sondern in mir. Tania Singer, Direktorin der Abteilung Soziale Neurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, sagt es so: „Um die Gefühle anderer Menschen begreifen zu können, muss man zuerst einmal seine eigenen verstehen.“
Rapport ist auch ein Kulturphänomen (Vieles wird 'normal', wenn es alle tun).
Wahrnehmungspositionen entwickeln
Nach meinen Beobachtungen werden die Wahrnehmungspositionen nacheinander entwickelt: Als Kind lernt man die 1st Position: Man will alles im Hier und Jetzt haben. Jugendliche lernen zu denken, sich zu relativieren und in Bezug auf andere zu sehen: 3rd Position. In der Ausbildungsphase müssen sich junge Leute in die anderen Azubis, Gesellen, Lehrmeister und, wenn sie die Lehre erfolgreich abschließen wollen, auch die Kunden einfühlen: 2nd Position. In den Wanderjahren lernt man sein erstes Berufsumfeld mit anderen zu vergleichen und erwirbt den systemischen Blick: 4th Position.
Die beste Zeit, die für den Rapportaufbau notwendige 2. Wahrnehmungsposition einzuüben, ist vermutlich die Zeit zwischen Jugend und Ausbildung. Bei uns ging man als Deutschschweizer früher für ein Jahr in die französische Schweiz und setzte sich dort mit dem anderen auseinander. Ich habe beste Erfahrungen damit gemacht, dass ich die Kids im Alter von 16 Jahren ein Jahr nach Amerika, Irland oder Japan schickte. Sie gingen als rotzmotzige Jugendliche und kamen als einfühlsame und flexible junge Erwachsene zurück. Und sie sind bis heute dankbar für die tiefen Erfahrungen mit dem anderen.
Auf das Fremde zugehen
Wer das verpasst hat, der kann auch als Erwachsener noch Rapport einüben, indem er sich aktiv mit fremden Kulturen auseinandersetzt. Ich stelle immer wieder fest, dass Manager, die in vielen Firmen, in vielen Ländern und auf vielen Kontinenten gearbeitet haben, viel leichter Rapport aufbauen (2nd Position) und etwas systemisch betrachten (4th Position) können, als jene, die ein Leben lang in Tauberbischofsheim oder Wittenberg verweilten. Verkäufer haben ebenfalls weniger Mühe mit dem Rapport als Buchhalter. Es gilt vermutlich: Je mehr wir uns mit dem anderen, dem Fremden auseinandersetzen, desto faszinierender wird es und desto einfacher kann man ihm und sich selbst vertrauen. (A)
Rapport im Alltag: Schweizer Politprominenz in action
Zusätzlich zu diesen praktischen Lebenserfahrungen empfiehlt Ken Wilber, um das multiperspektivische Denken und Fühlen und vor allem das Mitfühlen (2nd Position) zu vertiefen, die drei klassischen geistigen Techniken communio (Gebet: ich begegne dem großen Ganzen in der 2nd Position), contemplatio (Kontemplation: ich begegne dem großen Ganzen in der 3rd Position) und meditatio (Meditation: ich bin das große Ganze). (8) Man erkennt dabei nach und nach das Fremde in sich, lernt es zu akzeptieren und verliert die Angst davor. So kann man auch das Fremde im anderen leichter annehmen.
Und wenn Sie dann noch lernen, mit dem Milton-Modell widerstandsfrei zu sprechen und mit dem Meta-Modell behutsam nachzufragen, steht Ihrer Zukunft als Rapport-Profi nichts mehr im Wege! (A)
Je mehr wir uns mit dem anderen, dem Fremden auseinandersetzen, desto faszinierender wird es.
(A) Anmerkung der Redaktion (NLP Akademie):
Alle hier beschriebenen Kompetenzen werden im NLP Training der Stufe 1 ProzessWahrnehmung & Kommunikation (NLP Practitioner) trainiert und erworben.
Literatur:
(1) Roth, (3.; Strüber, N. (2014): Wie das Gehirn die Seele macht. Klett-Cotta
(2) J. Grinder; J. DeLozier: Der Reigen der Daimonen..lunfermann‚1995
(3) K. Wiiber: Eros, Logos, Kosmos. Fischer, 2001. S. 160ff
(4) R. Dilts: NLP II, Junfermann, 2013. S. 239 ff
(5) R. Dilts: Die Veränderung von Glaubenssystemen, Junfermann,1994
(6) K. Wilber: Mut und Gnade. Fischer, 2012. S. 197ff
(7) D. Goleman: Der fokussierte Manager, Harvard Business Manager, 2014
(8) K. Wilber et al.: Integrale Lebenspraxis: Körperliche Gesundheit, emotionale Balance, geistige Klarheit, spirituelles Erwachen. Kösel, 2010. S. 252 ff
Fotoquelle (Titelbild):
"2WAVES, l950" by Unknown LA Times staff photographer‚ Los Angeles Times, 28 August l950 (publicationdate), Los Angeles Times photographic archive, UCLA Library
Stichworte
Wahrnehmung | Verkauf | Therapie | Psychologie | Konstruktivismus | Ken Wilber | CoachingAdrian Schweizer
Praktiziert(e) als Offizier die Konfliktlösung mit Macht, als Rechtsanwalt mit Recht und als Mediator und Executive Coach mit Interessenausgleich. Er absolvierte seine NLP-Ausbildung bei Gründern und Aktivisten des NLP. Seit 1994 ist er Master-Trainer (Robert Dilts) und seit 2002 certified Trainer der Society of NLP. Mit Reiner Ponschab hat er verschiedene Bücher zur Mediation und zur kooperativen Konfliktlösung geschrieben und arbeitet heute als Executive Coach und Wirtschaftsmediator in Europa und Übersee. Als Dozent an in- und ausländischen Universitäten und Hochschulen lehrt er Mediation, Kommunikation und Coaching.
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