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Neue Theorie: Langzeitgedächtnis wird ständig aktualisiert
Hirnforschung Backups statt fester Verdrahtung
Das Langzeitgedächtnis könnte flexibler sein als bisher angenommen: Nach einer Theorie amerikanischer Forscher werden Langzeiterinnerungen nicht durch dauerhafte Veränderungen des Nervennetzwerks abgespeichert, sondern mithilfe von vorübergehenden Veränderungen der Nervenkontaktstellen. Das Prinzip ähnelt dem des Kurzzeitgedächtnisses, nur halten verschiedene Rückkopplungseffekte zwischen mehreren Netzwerken die Informationen beim Langzeitgedächtnis dauerhaft am Leben. Dadurch können sie auch in Nachhinein noch verändert werden. Aryeh Routtenberg und Jerome Rekart veröffentlichen ihre Ergebnisse im Fachmagazin Trends in Neuroscience (Ausg. 28, Nr. 1, S.12) .
Nach der bislang gängigen Theorie produziert das Gehirn bei jeder neuen Langzeiterinnerung neue Proteine, um die mit der Information zusammenhängenden Veränderungen im neuronalen Netzwerk zu stabilisieren. Auf diese Weise werden die Erinnerungen fest im Gehirn verankert und bleiben ein Leben lang erhalten. Die Forscher von der Northwestern-Universität in Everston analysierten nun jedoch wissenschaftliche Veröffentlichungen zu diesem Thema und kamen zu dem Schluss, dass dieses Modell nicht alle Phänomene des Langzeitgedächtnisses erklären kann.
Nach ihrem neuen, dynamischen Modell verändern sich beim Lernen Form, Verteilung oder Aktivität von bereits vorhandenen Proteinen an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, den Synapsen. Diese Veränderungen sind nicht bleibend, sondern reversibel. Um sie zu stabilisieren und damit frisch Erlerntes dauerhaft im Gehirn abzuspeichern, ist zusätzlich noch das so genannte "verborgene Einüben" des Gelernten nötig: Ein positives Feedback-System zwischen verschiedenen Netzwerken aktualisiert kontinuierlich die vorher abgespeicherten Informationen und stimmt sie ständig neu ab.
Da eine Erinnerung auf diese Weise über verschiedene Netzwerke gespeichert ist, sei es auch möglich, schon lange nicht mehr abgerufene Erinnerungen wieder schnell aufzufinden, schreiben die Wissenschaftler. Auch könnten so zerstörte Vernetzungen über die noch in den anderen Netzen vorhandenen Informationen wieder aufgebaut werden. Nach der neuen Theorie erlaubt dieser dynamische, in der Konsequenz jedoch stabile Prozess ein flexibles, kontinuierlich anpassungsfähiges Langzeitgedächtnis.
ddp/wissenschaft.de – Anke Biester